Sonntag, 19. Dezember 2021

 


STONEHOUSE




To glimpse the fluttering of shy birds I don’t always

       close the door I made              

A piece of jade is worth more than a cliff but gold can’t 

       buy a lifetime of freedom

The sound of icy falls on a dawn-lit snowy ridge the

       sight of distant peaks through leafless autumn 

       woods mist lifts from ancient cedars and clear

       days last forever right and wrong aren’t found in              

       the clouds.











This is the center of STONEHOUSE, this poem. But Stonehouse is also the name of the writer (1272 - 1352). He lived in the middle of mountains and woods but is called Stonehouse because of a rock near his home town, big like a house, with a spring emerging out of it. 

As a young man he had dropped his studies in order to become a monk. In his middle years then he was offered the post of the meditation master in a prestigious temple. He accepted but shortly thereafter it was clear to him that he much preferred the mountains. So he left. 
After more than 20 years as hermit he was once again offered an important post, this time as abbot of a monastery. But after a few years he again requested his release. 

Despite having hold two influential posts during his life he spent most of his adult existence as recluse in the mountains. Here he wrote his poems during his last years. 

The translation is by Red Pine.







Um einen flüchtigen Blick zu erhaschen auf das Flattern

       schüchterner Vögel, schließe ich nicht immer die 

       Tür, die ich gemacht habe

Ein Stück Jade ist mehr wert als ein Felsvorsprung aber 

       für Gold kann man kein freies Leben kaufen 

Der Klang vereister Wasserfälle auf einen von der     

       Dämmerung erhellten Grat die Ansicht ferner  

       Gipfel durch blätterlosen Herbstwald Dunst steigt

       auf von alten Zedern und klare Tage dauern ewig 

       richtig und falsch lassen sich nicht finden in den 

       Wolken.







Das ist das Zentrum von STONEHOUSE, dieses Gedicht. Aber Stonehouse ist auch der Name des Poeten (1272 - 1352). Er lebte inmitten von Bergen und Wäldern, wurde aber Stonehouse genannt, nach einem Felsen in der Nähe seines Heimatortes, groß wie ein Haus, aus dem eine Quelle entspringt. 

Als junger Mann hatte er seine Studien abgebrochen, um Mönch zu werden. In mittleren Jahren bot man ihm den Posten des Meditationsmeisters in einem renommierten Tempel an. Er nahm an, aber kurze Zeit später wurde ihm klar, dass er die Berge vorzieht. Also verließ er den Tempel.

Nachdem er dann über 20 Jahre als Einsiedler gelebt hatte, wurde ihm erneut ein bedeutender Posten angeboten, diesmal als Abt eines Klosters. Aber nach einigen Jahren bat er erneut um seine Entlassung. 

Obwohl er also zweimal während seines Lebens einflussreiche Posten innehatte, verbrachte er den Großteil seines erwachsenen Daseins als Einsiedler in den Bergen. Die Gedichte entstanden dort während seiner letzten Jahre. 

Ins Englische übertragen hat sie Red Pine.








Stonehouse, das klingt solide und wie fest verankert in der Wirklichkeit. Aber der äußere Schein trügt: So wie die Beobachtungen des historischen Stonehouse, nüchtern und diesseitig, ihm dennoch die Unterscheidung zwischen richtig und falsch verweigern, verbergen auch die Töne ihre wahre Herkunft. 



Stonehouse, this sounds solid and like firmly established in the reality. But the appearences are deceptive. Just as the delineations of the historical Stonehouse, sober and this-worldly, nevertheless withhold him the discrimination of right and wrong, the tones also hide their true origin. 


While CHLADNI OU LE GALBE didn’t offer a single attack, STONEHOUSE goes the extra mile: here there is but reverberation. The “materiality” of the tones becomes an inkling. That is to say the origin of the tones is acoustic, presumably real, what you can hear though is artificial or illusionary. Shards of former pieces generate the sounds of STONEHOUSE. So you listen to reminiscences of the portative, melodion, flute and - after the poem, a little bit more fidgety, rougher - prepared piano. 

The words of Stonehouse are joined by “real” tones of a monochord. Although it´s not real as instrument but a teaching material to display and render audible the mathematical and physical relations between tone intervals.







Clouds in time-lapse (at accelerated speed), the coming and going.



Während in CHLADNI OU LE GALBE kein Ansatz zu hören war, geht STONEHOUSE noch einen Schritt weiter: hier gibt es nur noch Nachhall. Die Materialität der Töne wird zur Ahnung. D.h. der Ursprung der Töne ist akustisch, vermeintlich real, das zu Hörende aber künstlich oder illusionär. 

Bruchstücke aus CHLADNI OU LE GALBE und BENTHOS generieren die Klänge von STONEHOUSE. Man hört also Reminiszenzen von Portativ, Melodion, Flöte und - nach dem Gedicht, etwas unruhiger, rauer - präpariertem Klavier. 

Zu den Worten von Stonehouse gesellen sich dann „reale“ Töne eines Monochords. Allerdings ist auch das nicht »real« als Instrument, sondern eine Art Lehrmittel, um die mathematischen und physikalischen Beziehungen zwischen Tonintervallen darzustellen und hörbar zu machen. 


Wolken im Zeitraffer, Kommen und Gehen. 








Wie im Gedicht geht es auch in der Musik darum, dass Erscheinungen Freiheit vermitteln, nie aber die Frage nach richtig und falsch beantworten können, so real sie auch wirken mögen. 








Like in the poem, in the music too it´s about how appearences convey freedom but never can answer the question of right or wrong, no matter how real they seem to be.


The photos show a Stonehouse too, in parts. And though it’s much bigger, more elegant and sophisticated, naturally not only like the cage but also like the hut, timewise and at times too it’s closer to the hermit then to nowadays. I did the photos last summer in Mantova, in the Palazzo Ducale, manorial seat of the Gonzagas over centuries, one of the most influential family of Italy, with frescos from Andrea Mantegna and apparently about 1000 rooms. 








Die Photos zeigen ebenfalls ein Steinhaus, in Teilen. Und auch wenn es viel größer ist, eleganter und verfeinerter, natürlich nicht nur als die Höhle, sondern auch als die Hütte, ist es zeitlich und auch zeitweise näher am Eremiten denn an Heute. Ich habe die Bilder letzten Sommer in Mantova gemacht, im Palazzo Ducale, Herrschaftssitz der Gonzagas über Jahrhunderte, einer der einflussreichsten Familien Italiens, mit Fresken von Andrea Mantegna und anscheinend um die 1000 Räumen.


































Kommentare sind wie immer willkommen. 

mail@stefan-hardt.de


Alle erwähnten CD´s und noch viele mehr sind entweder bei mir direkt oder bei Bandcamp bestellbar (stefanhardt.bandcamp.com).




Commentaries are always welcome. 

mail@stefan-hardt.com



For all mentioned cds and many more please contact me or bandcamp

(stefanhardt.bandcamp.com).





































Donnerstag, 11. Februar 2021



CHLADNI OU LE GALBE


















Wie immer sind die einzelnen Klänge unbehandelt, abgesehen davon, daß man hier keinen einzigen Anblaslaut hört, d.h. Beginn und Ende jedes Klangereignisses sind abgeschnitten und ein- bzw. ausgeblendet worden. Außerdem gibt es hier und da einen kleinen Hall. 
Im Einsatz waren das Melodion, das Portativ und drei Flöten.



As usual the sounds remain untreated, except that you won´t hear an attack, that is to say, the beginning and the end of each sound event were cut and faded in, respectively faded out. In addition there is a small reverberation from time to time.

I used the melodion, the portative and three flutes.





















Now as before, it´s about exposing interferences, binaural beats, frictions and the oscillations created by an overlay of same-height tones. Something that is considered disharmonic stays or becomes harmonic in a broader sense. 



Nach wie vor geht es darum, Interferenzen, Schwebungen, Reibungen und aus der Überlagerung gleicher Töne entstehendes Oszillieren, d.h. etwas, was gemeinhin dem Mißklang zugeordnet wird, zu exponieren, jedoch gleichzeitig in einem umfassenderen Sinn harmonisch zu bleiben. 

























































Daher hoffe ich, daß diese CD sowohl als experimentell wie auch als schön im traditionellen Sinn wahrgenommen werden kann.



Therefore I hope this cd can be perceived as experimental as well as conventionally beautiful.





























CHLADNI OU LE GALBE: Die erste Hälfte des Titels, Chladni, fand ich in einem Roman. Eine tschechische Roma namens Zoli erinnert, wie sie früher zur Freude der Kinder mit einem Geigenbogen über Bleche strich, auf denen sich dann das Salz oder der Zucker zu seltsamen Bildern, Mustern zusammenfand. Sie nennt diese Gebilde Chladnis. Zuerst dachte ich: vielleicht ist das der tschechische Ausdruck für dieses Phänomen. Dann fand ich aber schnell heraus, daß der Begriff vom Eigennamen eines deutschen Physikers aus dem 18. Jahrhundert herrührt. Er gilt als Begründer der modernen Akustik. Und tatsächlich gibt es Oszillatoren zu kaufen, um diese Muster im Schulunterricht zu zeigen. Ich habe damals vermutlich gefehlt. 



CHLADNI OU LE GALBE: The first half of the title Chladni I found in a novel. A Czech Roma woman called Zoli remembers how she stroke a griddle with a bow, much to the joy of the children, and the sugar or the salt on it shaped into strange patterns and images. She calls these fabrics chladnis. First I thought: this might be the Czech expression for this phenomenon. But then I quickly found out that it´s the proper name of a German physicist from the 18. century. He is considered to be the founder of modern acoustics. And actually you can buy oscillators to discuss these patterns in school. Presumably I missed these lessons.






      



The second half of the title, le galbe, signifies a perfect curvature. I bumped into this word right after checking out chladni. It turned up in a small and weird mini novel called Monsieur Origami. The main character, precisely Monsieur Origami, lives in Italy and produces washi, that is to say transparent so called rice paper. Then he pleats origamis only to unfold them again. In the meantime he does Zazen which means just sitting in order to sit. 

At some point along the storyline, an anecdote is being told. It recounts that in old China the diplomas were sent and resent in the form of origamis. As soon as you unfolded them it was no longer possible to refold them again without ruining the document, that is to say without adding new bucklings and lines. So when the recipient saw that his diploma had bucklings which shouldn´t be there, he knew that somebody else had already opened and supposedly read the precious document.

This Monsieur Origami falls in love with a woman he calls the black pantheress and whose perfect curvature - le galbe - of her calfs he admires.

















Der zweite Teil des Titel, le galbe, bedeutet übersetzt soviel wie perfekte Rundung. Darauf gestossen bin ich direkt im Anschluß an die Recherche zu Chladni. Das Wort findet sich in einem kleinen, seltsamen Mini-Roman mit dem Titel Monsieur Origami. Die Hauptfigur, eben Monsieur Origami, lebt in Italien und produziert Washi, d.h. durch-scheinendes, sogenanntes Reispapier. Er faltet dann Origamis, nur um sie wieder zu entfalten. Zwischendurch macht er Zazen, d.h. er sitzt, um zu sitzen. 

Zwischendrin präsentiert der Roman die Anekdote, daß im alten China die Diplome in Origami-Form verschickt oder zurückgegeben wurden. Sobald man sie entfaltete, war es unmöglich, sie wieder zusammen-zufalten, ohne das Dokument zu ruinieren, d.h. neue Knicke und Linien hinzuzufügen. Wenn also der Empfänger sah, daß sein Diplom Knicke enthielt, die dort nicht hätten sein dürfen, wußte er, daß vor ihm schon ein anderer das kostbare Dokument geöffnet und gelesen hatte. 

Nun verliebt sich Monsieur Origami in eine Frau, die er schwarze Pantherin nennt und deren perfekte Rundung - le galbe - ihrer Waden er bewundert.























































Trotz dieser schon ein wenig verschlungenen Anekdoten ist aber der Titel natürlich nicht Teil der Musik. Eher schwebt er über ihr.


Pierre Soulages hat mir mit seinen Bildern gezeigt, wie man aus einem Minimum an Material ein Maximum an Farben schöpfen kann. Die Emanation seines Schwarz´ ist faszinierend. 

In Baden-Baden konnte ich in seiner großen Ausstellung sehen, wie mit jedem Schritt in eine andere Richtung, mit jeder kleinen Veränderung des Blickwinkels vor dem Bild, aber auch des natürlichen Lichts immer wieder neue Gemälde entstehen, wie das Schwarz zu leben beginnt.

Übersetzt in Musik heißt das: Mit jeder kleinen Veränderung innerhalb der Zeitachse entstehen immer wieder neue Klangfarben, Kompositio-nen.









The title though is not part of the music, despite these a bit entwined anecdotes. It rather hovers over it.


Pierre Soulages showed me through his paintings how to ladle a maximum of colours out of a minimum of material. The emanation of his Black is fascinating. 

Visiting his big exposition in Baden-Baden I could see how, with each step in another direction, with each tiny change of angle and perspective in front of the painting but also with the change of the natural light, new paintings emerged and the black began to live.

Translated into music it means: with each tiny change in between the timeline, new compositions arise, new colours of sound.














































Therefore, eventhough it unmistakably is about one piece, there are several tracks. 

So you can stroll back and forth on the timeline - using the option »random play« or listening to the tracks from end to beginning etc. - and therefore change the angle, the auditory angle, in analogy with Pierre Soulages.

It´s a bit like stroking the griddle: each time you get different (sound) patterns.



Obwohl es sich eindeutig - und auch durchweg so konzipiert - um ein Stück handelt, gibt es daher mehrere tracks. Man kann, in Analogie zu Pierre Soulages, auf der Zeitachse hin- und herwandern - indem man die Option »Random Play« aufruft oder die tracks von hinten nach vorn durchhört - und so den Blick-, oder besser den Hörwinkel verändern.

Es ist ein wenig wie das Streichen mit einem Geigenbogen übers Backblech: jedes Mal ergeben sich andere (Hör)-Muster.

















Die Fotos verdeutlichen auf andere Weise als die Töne, wie sich das Sichtbare und das Hörbare durch eine Änderung des Blick- oder des Hörwinkels verändern können.

Alle Aufnahmen zeigen entweder eine blaue Wasserflasche mit halbgefrorenem Wasser oder eine Fensterscheibe mit Eisschlieren.

Vielleicht findet sich hier die perfekte Rundung?































The photos elucidate in a different way than the tones how the visible and the audible can change through a change of the visual or auditive angle.

All images show a blue water bottle with half frozen water or a window with ice on it.

Perhaps here you´ll find the perfect curvature?























Kommentare sind wie immer willkommen. 

mail@stefan-hardt.de


Alle erwähnten CD´s und noch viele mehr sind entweder bei mir direkt oder bei Bandcamp bestellbar (stefanhardt.bandcamp.com).



Commentaries are always welcome. 

mail@stefan-hardt.com


For all mentioned cds and many more please contact me or bandcamp

(stefanhardt.bandcamp.com).