DIE KUNST IST EIN MITTEL FÜR EINE ANDERE KUNST
Der Icherzähler in Thomas Bernhards Frost fragt sich, wie er mit den Gedankenfetzen des Malers, dem er »beisteht«, umgehen soll. Er fragt sich, ob das denn noch Sprache ist, was aus dem alten Mann emporsteigt. Aus dessen Klagen und Schimpftiraden emanieren nämlich nicht bloß luzide Erkenntnisse am Rande des Wahnsinns, sondern permanent auch neue Wörter oder Wortzusammenstellungen. Vielleicht inkarniert er so etwas wie das Negativ von Weisheit, das ist schon der ganze Bernhard.
Und es ist dieser Doppelboden der Sprache, der dem Erzähler zu schaffen macht.
Und es ist dieser Doppelboden der Sprache, der dem Erzähler zu schaffen macht.
DIE KUNST IST EIN MITTEL FÜR EINE ANDERE KUNST (Art Is A Means For Another Art)
The first-person narrator in Thomas Bernhards Frost asks himself how to deal with this painters shreds of thought whom he »stands by«. He asks himself if it is still language what arises from the old man. For out of his complaints and rants emanate not only lucid insights on the brink of madness but also a flood of new words or word constellations. Perhaps he incarnates something like the photographic negative of wisdom, this is already the whole Bernhard.
And it is this double floor of language which discomforts the narrator.
And it is this double floor of language which discomforts the narrator.
Zwei akustische Ebenen deuten auf den Zwiespalt hin zwischen stoischem, erwartungslosem Weitersagen und begierigem, sehnsuchtsvollem Geschwätz. Das ist die HERZMUSKELSPRACHE VERSUS WORTNÜSTERN.
Wie sich das eher frugale Klavier mit seinen wenigen, immer wiederkehrenden Tönen behauptet gegen akzidentielle Einschübe - die dann auch verhallt sind -, »Querschläger«, Geplapper.
Aber auch die Herzmuskelsprache ist endlich, wenn selbst Felsen und Berge vom Wind abgeschliffen werden. Das ist vielleicht die historische Last dieser Tage: daß wir an einem Zuviel an gesprochenen, meist besinnungslosen Worten zu ersticken drohen. Kunst gönnt uns immerhin ein wenig Bewegungsfreiheit ohne Wortklang.
Und überdies: weist nicht das Unabgeschlossene jeder großen künstlerischen Anstrengung über sich selbst hinaus? Birgt nicht Becketts Credo Fail better next time diese andere Kunst? Die Kunst des Wartens, die Kunst der Geduld?
Geht es eventuell um Schönheit überhaupt? Ihre Unsterblichkeit, zwischen Stille und Laut? So daß ein künstlerischer Ausdruck den nächsten begünstigt, daß die Stille weitergegeben wird, bis erneut ein Laut entsteht, wie bei einem Staffellauf?
Geht es eventuell darum, sich darin zu schulen, die eigene Stimme zu hören?
Two acoustic levels point to the dichotomy between the stoic spread of words without expectations, and eager, yearning gibberish. This is the HERZMUSKELSPRACHE VERSUS WORTNÜSTERN (Cardiomuscular Language Versus Word Nostrils).
How the rather frugal piano with its few consistently repeating tones holds its ground against accidental interpolations - who sure enough reverberate -, »ricochets«, jabber.
But also the cardiomuscular language is finite when even rocks and mountains get grinded down by the wind. This is perhaps the historical burden of our days: that we are in danger to get choked on a too-many of spoken and mostly insensible words. Art deigns us at least a bit of latitude without the sound of words.
And moreover: does not the openendedness of every artistic effort point beyond itself? Does not Becketts credo Fail better next time hold this other art? The art of waiting, the art of patience?
Is it possibly about beauty in general? Its immortality, between stillness and sound? So that an artistic expression promotes the next one, that stillness is passed on till there is a sound again, like in a relay?
Is it possibly about to train oneself in recognizing the own voice?
Bachtyar Ali hat einen Roman geschrieben, Die Stadt der weißen Musiker, der verquollen, pathetisch, verworren und voll von Gewalt ist, gleichzeitig aber Perlen der Einsicht enthält, die wie Lotusblüten aus dem Sumpf hervorwachsen: ein möglicherweise sufistisches Pamphlet über Schönheit. Neben Folterungen, unzähligen Metaphern und einer Wüstenstadt für Prostituierte geht die Rede über eine von selbst entstehende Gemeinschaft von Kunstsammlern, die den geknechteten Menschen Schönheit zurückgeben möchten. In unterirdischen Gängen weilt die Ewigkeit in Form dieser Schönheit. Jeder hat ein Meisterwerk in sich, sagt eine Protagonistin. Daher muß es eine wandernde Seele geben, die diesen Schatz hebt. Denn vorher findet die Schönheit keine Ruhe. Daher gibt es sogenannte Wächter der Schönheit, die den Transport übernehmen.
Bachtyar Ali has written a novel called The City Of The White Musicians which is half-baked, histrionic and full of violence. But at the same time it contains pearls of insight who grow like lotos blossoms out of the swamp: a possibly sufistic pamphlet about beauty. Besides tortures, countless metaphors and a desert city for prostitutes the story is about a spontaneous community of art collectors who want to hand back beauty to the downtrodden people. In underground passages eternity dwells in form of this beauty. Everybody has a masterpiece in him- or herself, says a female protagonist. Thus there has to be a wandering soul who raises this treasure. Since before beauty can´t find any peace of mind. That is why there are so called Guardians Of Beauty who undertake the transport.
Das Credo Die Kunst ist ein Mittel für eine andere Kunst, das als Titel des zweiten Stücks dient, stammt aber nicht von Bachtyar Ali, sondern von Thomas Bernhard.
Bachtyar Ali liefert die poetisch-spirituelle Vorrede, Thomas Bernhard ist zuständig für das paradoxe Zentrum des Ausdrucks.
Hier schimpft nämlich ein Zirkusdirektor namens Caribaldi unentwegt über die Disziplinlosigkeit seiner Mitarbeiter, die nicht nur den Dompteur, den Akrobaten, den Clown etc. geben, sondern mit ihm zusammen gefälligst Schuberts Forellenquintett einüben sollen. Er wünscht sich, die Zuschauer in eine Zirkusvorstellung zu locken, damit sie in Wahrheit das Forellenquintett hören.
Wir sind auf dem Theater, das Stück heißt Die Macht der Gewohnheit.
Wenn die Parole erklingt: Morgen Augsburg, dann ist das auch die Ewigkeit: Die Kunst ist ein Mittel für eine andere Kunst, sie verspricht: es geht immer weiter, die Übergänge sind fließend.
Bernhard, das ist einerseits kopfüber in das Kunstwerk und alles geben, egal, ob als Interpret oder Schaffender, andererseits Die Kunst ist ein Mittel für eine andere Kunst. Also gibt es da eine große Neugier genereller Art.
Erschließt mein Gerede den Kontext der Töne, öffnet es sie?
Klingen sie überhaupt auf dem Niveau dieser Gedanken?
Thomas Bernhard sagt: Die Musik ist in den Unterschied meiner und aller Worte geordnet.
The credo Die Kunst ist ein Mittel für eine andere Kunst though which serves as title of the second piece doesn´t originate from Bachtyar Ali but from Thomas Bernhard.
Bachtyar Ali delivers the poetic-spiritual preface, Thomas Bernhard is responsible for the paradoxical center of the expression.
Here viz a circus director named Caribaldi inveighs against the indiscipline of his employees who not only have to embody the tamer, the acrobat, the clown etc. but kindly to rehearse Schuberts Trout Quintet. He wishes for luring the spectators into a circus show in order to let them hear instead the Trout Quintet.
We are at the theatre, the piece is called Die Macht der Gewohnheit (The Power Of Habit).
When the watchword Tomorrow Augsburg sounds, this is also eternity: Die Kunst ist ein Mittel für eine andere Kunst. It promises: it goes on forever, the transitions are fluid.
Bernhard, this is for one thing headfirst into the piece of art and to give everything, then again it is Die Kunst ist ein Mittel für eine andere Kunst. This there is a huge curiosity of general nature.
Does my talking opens up the context of the tones? Does they after all sound on the level of these thoughts?
Thomas Bernhard says: Music is arranged into the difference of my and all words.
Kommentare sind wie immer willkommen. (mail@stefan-hardt.de).
Alle erwähnten CD´s und noch viele mehr sind entweder bei mir direkt oder bei Bandcamp bestellbar. (stefanhardt.bandcamp.com).
Commentaries are always welcome
(mail@stefan-hardt.com).
For all mentioned cds and many more please contact me or Bandcamp (stefanhardt.bandcamp.com).