Montag, 21. Dezember 2015






ANGELS I - IV

1) …wenn mir zumut ist,
zu warten vor der Puppenbühne, nein,
so völlig hinzuschaun, daß, um mein  
        Schauen am Ende aufzuwiegen, dort als  
        Spieler ein Engel hinmuß, der die Bälge 
        hochreißt.                                                                                                                                         
                                                                                                                  Rainer Maria Rilke


2) noch tastend
                                                                                  Paul Klee


3) wenn mein herz sich aufschwingt
ist es der engel, der seine flügel breitet                                
Tanikawa Shuntaro


4) …wie sie allein sein können, wenn sie sind: 
        rasche und helle Mächte, blitzende Weber-
        schiffchen, die ewig damit beschäftigt sind, 
        über alle Freudigkeit hinaus den Stoff des 
        Lichtes zu weben.                                          
  Philippe Jaccottet






















ANGELS I - IV

1) …when I feel, 
in front of the puppet theatre, no, 
rather gazing at it, so intently, that at last, 
to balance my gaze, an Angel must come    
      and take part, dragging the bellows on high.
                                                                                Rainer Maria Rilke


2) still groping
                                                                                 Paul Klee


3) when my heart soars up
it´s the angel who spreads its wings                          Tanikawa Shuntaro  
                                     

4) …imaging them how they only can be when  
        they are: prompt and limpid forces, sparkling  
        shuttles, eternally occupied weaving, beyond  
        all joyfulness, the cloth of light.                                                                                                                                                                                                     
   Philippe Jaccottet








Es geht, so kurz vor Weihnachten, um Engel. Aber ich schwöre: das timing ist rein zufällig. Auf die Idee gebracht hat mich Philippe Jaccottet. In seinem Buch Landschaft mit abwesenden Figuren, erschienen 1970, beschreibt er eine Winterlandschaft. Der Winter sei ihm in diesen Gegenden - er wohnt in der Provence - die liebste Jahreszeit, eine Jahreszeit für die Engel, vorausgesetzt, man vergesse die abgeschmackten Bilder, zu denen die alternden Religionen sie herabgewürdigt haben. Und dann folgt das Zitat. Er assoziert die Anwesenheit von Engeln mit diesem blassen Winterlicht, das über die Felder wandert. Der Blick ist frei, ins Weite zu eilen, den Raum zu ermessen und sich in ihm zu verteilen.







It´s about angels, shortly before christmas. But I swear: the timing came along by pure chance. I got the idea while reading Philippe Jaccottet. In his book Landscape With Absent Figures, published in 1970, he describes a wintery landscape. The winter in these regions -  he lives in the Provence - would be his favourite season, a season for angels, under the condition to forget about the vulgar images to which the aging religions have debased them. And then follows the quote. He associates the presence of angels with this pale winter light which roams through and above the fields. The view is free to wander far, to mesure the space and disperse the elements.
After that I hurried on to Walter Benjamin, the revered thinker of my years of study. But it turns out: his view is so overshadowed, there is no light at all, let alone a sparkling shuttle; the powerlessness of his angel, blown back into the nothingness by our ruthlessness on earth depressed me.
And how do they shine and glow in the work of the great »preformer« Paul Klee
In all colours, it seems, or in black and white. His angels are angels for everything, a fetishism of the tender kind, and Klee, seriously ill, suffers silently.
And how do they otherwise look like, these angels? 
(The comedian Karl Valentin fantasized them  preferably as female creatures up to 30, naked if possible, in no case however as master baker Meier, fluttering around in the clouds with two huge wings, then rather invisible.) 
This angel of Klee´s here is not ready yet, he still fumbles around.


Dann bin ich zu Walter Benjamin geeilt, der verehrte Denker meiner Studienzeit. Es stellt sich aber heraus: sein Blick ist so verdüstert, da gibt es gar kein Licht, geschweige denn ein blitzendes Weberschiffchen; die Machtlosigkeit seines Engels, der von unserer Rücksichtslosigkeit auf Erden rückwärts ins Nichts geweht wird, hat mich deprimiert. 
Und wie leuchten sie beim großen Vorbildner Paul Klee? In allen Farben, wie sich herausstellt, oder in Schwarzweiß. 
Seine Engel sind Engel für Alles, ein Fetischismus der sanften Art, und Klee, schwer krank, duldet still. 
Und wie sehen sie sonst aus, diese Engel?
(Der Komiker Karl Valentin hat sich Engel vorzugsweise als weibliche Wesen bis 30 vorgestellt, wenn möglich nackend, keinesfalls jedoch in Form von Bäckermeister Meier mit zwei großen Flügeln in den Wolken herumflatternd, dann schon lieber unsichtbar.)
Dieser Engel bei Klee hier ist noch nicht fertig, er tastet noch.  






Tanikawa Shuntaro hat sich diesen Kleeschen Engeln mit Gedichten genähert. Und seine Version vom Engel, der »noch tastet«, breitet dennoch schon die Flügel. 
Und fliegt dann tatsächlich, mit Hilfe von Philippe Jaccottet: der Engel fliegt, indem er zu Licht wird.


Tanikawa Shuntaro approached these angels of Klee´s with poems. And his version of an angel still fumbling about nevertheless spreads his wings. And then actually wings, with the help of Philippe Jaccottet: the angel wings by morphing into light.





                                 



 




Wenn das spirituelle Licht in Formlosigkeit verwahrt wird, kehren Vitalität und Energie zur perfekten Realität zurück. Dann sind die Augen klar, werden aber nicht zum Sehen benutzt; die Ohren sind gespitzt, werden aber nicht zum Hören benutzt.
Die Meister von Huainan


When the spiritual light is stored in formlessness, vitality and energy return to perfect reality. Then the eyes are clear but are not used for looking; the ears are sharp but are not used for listening.   
The Masters Of Huainan


Angels I - IV ist so konzipiert, daß es sowohl als Ganzes einen musikalischen Sinn ergibt, als auch, daß man die vier tracks einzeln hören kann. Jeder »Satz« unternimmt eine etwas andere Annäherung.
Und das Instrument dieser »Beschwörung«, die Flöte, ist quasi der Körper, die beiden Melodions sind die Flügel. Aber die Flügel werden immer wichtiger.


The concept of Angels I - IV: It´s one piece but the four parts are self-contained pieces too, each track is related to a slightly different approach. 
And the instrument of this »incantation«, the flute, virtually is the body, the two melodions are the wings. But the wings become increasingly important.








Zu Beginn aber gibt es noch den Engel von Rilke: beim ihm sind Engel zwar schrecklich, wie er selbst sagt, allerdings berührt mich ihr Düsteres ganz anders als diese verzweifelte Machtlosigkeit bei Benjamin. Die weit aufgerissenen Augen, die den Engel bei Rilke herbeizititieren, sind sehr präsent und fokussiert, auch wenn es wahrscheinlich nur um die Mechanik, die Bälge des Spiels geht, das sich Leben nennt.  Er bereitet den Abflug vor, fächelt die Luft, damit das Licht sich entfalten kann.                                                                    

Also, kurz gesagt: Rilke sagt: ein Engel muß her, bei Klee ist er da, tastet aber noch herum, bei Tanikawa Shuntaro breitet er dann seine Flügel, und bei Philippe Jaccottet fliegt er.


At the beginning though there is still Rilkes angel: his angels are in fact terrible, so his own word, but their drabness touches me in a different way than this desperate powerlessness of Benjamin. The wide open eyes which summon the angel of Rilke are very present and focussed eventhough it´s probably just about the mechanic, the bellows of the game called life. He prepares his takeoff, fans the air for the light flowers out.                                                  

So, in short, Rilke says: an angel is needed, with Klee he is there but still fumbles about, with Tanikawa Shuntaro he spreads his wings and with Philippe Jaccottet he wings.


  
























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Mittwoch, 8. Juli 2015







LUFTSILBER ist wirklich ein Hauch von Nichts, es besteht nämlich aus genau drei Tönen, eigentlich. 
Zwei Melodicas und zwei Melodions habe ich inzwischen. Und irgendwann waren alle vier Instrumente verstimmt. Dann müssen normalerweise die Metallzungen, die durch die Mechanik und den Luftstrom zum Schwingen gebracht werden und so den Ton erzeugen, ganz vorsichtig mit einer Feile bearbeitet werden.

Luftsilber, Silver of Air really is a breath of nothing, it consists to wit of three tones, actually.
By now I have two melodicas and two melodions. And one day all of them were out of tune, more or less. Then you normally have to work with a file on the brass plates which vibrate due to the mechanics and the stream of air and so generate the tones.

Before though I wanted to use this condition for a new piece. I imagined that the mixture of four different sound colors together with this poor tuning would produce interesting interferences and wavering and grinding microtonal intervals.

So after several trials with the sound I picked the tones c sharp, f sharp and g sharp and improvised, just using these three tones in a chordal way, on all four instruments, like in slow motion and recorded several layers. Then I put one layer on top of another, shifted them, shortened them and finally changed the levels of volume.








Vorher aber wollte ich diesen Zustand der Instrumente für ein Stück nutzen. Ich stellte mir vor, daß die Mischung der vier unterschiedlichen Klangfarben zusammen mit der mangelhaften Stimmung interessante Interferenzen, schwebende oder sich reibende Tonhöhenunterschiede im Mikrobereich produzieren müsste. 
Also wählte ich nach etlichen Versuchen bezüglich des interessantesten Klangs die Töne cis, fis und gis aus, begann zu improvisieren, nur mit diesen drei Tönen, in akkordischer Weise, auf allen vier Instrumenten und wie in slow motion, und nahm so mehrere Schichten auf. Danach habe ich diese Schichten übereinandergelegt, verschoben, gekürzt und die Pegel variiert. 



 


Der Ausdruck Luftsilber entstammt einer Novelle von Adalbert Stifter, Die Narrenburg. Hier werden soziale Unterschiede bereits oder noch von der Liebe überwunden. Der naturwissenschaftlich interessierte Logiergast hofiert die Tochter seines Wirts. Und eines Abends verabredet er sich mit ihr unter der Laube und spricht davon, wie lieblich es schon sei, bloß ihren Atem zu spüren. Und ob ihr denn nicht auch so sei. »Und wie das Luftsilber des Mondes durch das Zweiggitter auf ihre beiden Angesichter hereinsank, so sagte ihm ihr Auge, das nachgebend und zärtlich gegen seines blickte, daß es so ist«.


The expression Luftsilber originates from a novelette by Adalbert Stifter, Die Narrenburg, The Castle of Fools. Here social differences are already or still overcome by love. The overnight visitor, examining nature in a scientific way, fawns over the daughter of his landlord. And one night he arranges to meet her under the arbour and tells her how loveley it is already to just feel her breath. And if she´d feel the same. »And when the silver of the air of the moon sank through the grid of branches upon them, her eye that looked towards his, yielding and tender, told him that it is like that.«





This is the element of Zazen in this piece. While this mixture of slopping water and chafing, screeching metal parts of a huge pontoon - I recorded that years ago at the Hamburg harbor - indicates resistance, an enormous force: the hardness of the metal together with the yielding consistence of the water and its still metallic will.







In the story the resistance expresses itself as history, it´s the egos of his ancestors, congealed in stone, which Heinrich then - in a sensible and loving manner - »straigthens«, tames and incorporates in a melange of sustainably working estate, castle and cultural site: in a cultural landscape.
To have the world in an echo, that would be nice. 


Das ist quasi das Element Zazen in dem Stück. Während diese Mischung aus schwappenden Wassergeräuschen und aneinanderreibenden, kreischenden Metallteilen eines riesigen Pontons hingegen den Widerstand andeutet, eine große Kraft: die Härte des Metalls zusammen mit der nachgebenden Konsistenz des Wassers und ihrem dennoch metallischen Willen. In der Erzählung artikuliert sich der Widerstand als Geschichte, sind es die in Stein erstarrten Egos seiner Vorfahren, die Heinrich dann in vernünftiger und gleichzeitig liebevoller Arbeit »begradigt«, zähmt, eingemeindet in eine Mischung aus nachhaltig arbeitendem Gutshof, Burg und Kulturstätte: in eine Kulturlandschaft. 
Im Anklang die Welt haben, das wäre schön. 




  

Luftsilber beschreibt also das langsame, vorläufige Verschwinden, Entschwinden von Widerstand. Demnach handelt es sich um eine ebenfalls vorläufige Geschichte mit Happy End.






Die Fotos von Lou sind in Argentinien entstanden. Mehr davon sind auf ihrem blog zu sehen: www.loudelalune.blogspot.fr



So Luftsilber describes the slow provisional disappearance, vanishing of resistance. Thus it´s about a likewise provisional story with a happy ending.  

Lou´s photos were taken during a trip in Argentina. More of them you can find on her blog: www.loudelalune.blogspot.fr



















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Freitag, 17. April 2015









Windwege werden erwähnt in dem Roman Die Sprache der Vögel von Norbert Scheuer. Ein Urahn des Protagonisten, Ambrosius Arimond, war der Meinung, alle Vögel unserer Erde besäßen eine gemeinsame Sprache. Sein Leben lang beschäftigte er sich mit der Entschlüsselung ihrer Gesänge. Außerdem glaubte er, daß Vögel, ähnlich wie die Menschen am Boden, Straßen in der Luft hätten, Wege, auf denen Luftströmungen sie zum Himmel führten. 








Paths Of Wind are mentioned in the novel The Language Of Birds by Norbert Scheuer. An ancestor of the protagonist, Ambrosius Arimond, was convinced that all birds of the earth would have a common language. All his life he was occupied with the decryption of their chants.
He also believed that birds, like humans on earth, would have roads in the air, paths on which air currents lead them to heaven.


























Die Luft als unsichtbare(s), sich ständig verändernde(s) Gewirr von Straßen, Wegen und Pfaden. Heute sind das vielleicht die Wellen der Mobiltelefone.
Ambrosius aber baute sich ein Fluggerät mit drei Meter langen Schwingen, die aus gegerbten Häuten von Feuersalamandern zusammengenäht waren. 




 









The air as invisible, permanently changing entanglement of roads, ways and paths. Today they are probably the waves of mobile phones.
But Ambrosius built himself an aircraft with wings three meter long, out of tanned, then stoated hides of the fire salamander.



 





Dies ist ein Zwischenbericht. Und das Eingeständnis, erneut mit Melodien zu arbeiten. Vermutlich verhindert die Liebe zu den Standards samt ihrer akkordischen Implikationen, Melodien ganz grundsätzlich ad acta zu legen. Sie gefallen mir einfach noch immer, solange sie nicht wie Gartenzwerge eingezäunt werden. 3 Mini-CD´s, auf denen es wieder etwas unruhiger zugeht, wie in dem sonstigen Leben, das sich mit mir beschäftigt.



This is an interim report. And the confession to work with melodies again. The love for the standards probably prevents me from ticking off melodies in general. I just still like them as long as they are not fenced in like garden gnomes. 3 mini cds that come along more fidgety again, like in the other life that deals with me.  





























Die erste dieser Mini-CD´s, Meditating Squirrel, ist im letzten Herbst entstanden, als es wieder kälter wurde und der Gedanke an Winterschlaf Einzug hielt. Das Eichhörnchen hat den Nahrungsvorrat schon zusammengesammelt. Jetzt meditiert es noch ein wenig, bevor die Augen für längere Zeit zufallen.


The first of these mini cds, Meditating Squirrel, sprouted last autumn when it became colder and the thought of hibernation found it´s way into ones head. The squirrel already gathered his stocks. Now it meditates a little before the eyelids droop for a longer period.









Die zweite kleine CD, Gliding, ist dem Fliegen gewidmet, eine immer wiederkehrende Phantasie (s.o.).
Das Schwebende passte gut zu den Haikus, die ich für einen Neujahrsgruß herausgesucht hatte. Drei davon haben dann endgültig Eingang ins Stück gefunden.



The second little cd, Gliding, is dedicated to flying, a recurring phantasy (see above).
The hovering goes well with the haikus I picked for the new years greeting. Three of them made it definitely into the composition.









Gliding und das dritte StückDream Interior, sind quasi live gespielt und hinterher überhaupt nicht »behandelt« worden: Sowohl der Hall als auch die loops habe ich während der Aufnahme an meinem neuen kleinen Verstärker beziehungsweise meinem Fußpedal eingestellt und modifiziert. Ein Mikrophon war vor der Verstärkerbox, ein zweites am Instrument positioniert. 


Gliding and the third piece, Dream Interior, are played »live«, that is to say, I haven´t »treated« them afterwards: I adjusted and modified the reverberation as well as the loops with the help of my little new amplifier respectively my foot pedal. One microphone was positioned in front of the loudspeaker, a second one at the instrument itself.


Dream Interior widmet sich der Unberechenbarkeit von Traum-Dekors, ihre Inneneinrichtung kann ganz plötzlich ganz schrill werden. So gibt es schon in der Komposition einige auffällige Dissonanzen.








Dream Interior deals with the unpredictability of dream decors, the interiors can become shrill very easily. So there are some striking dissonances in the composition already.





For the photos close your eyes and see:
loudelalune.blogspot.fr


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